Enrica Freifrau von Handel-Mazzetti (Schriftstellerin, 10.1.1871 Wien, † 8.4.1955 Linz/Donau)
Enrica von Handel-Mazzetti
Handel-Mazzetti genoß die vorzügliche Erziehung der aus einer liberalgesinnten adeligen Familie stammenden Mutter, der spät erst der geregelte schulische Unterricht folgte. 1886/87 erlebt sie ihr denkwürdiges Jahr in dem traditionsreichen Sankt Pöltener Institut der Englischen Fräulein, wo ihr aus jahrhundertelanger Familientradition und reicher Lektüre gewonnenes Geschichtsbild seine entscheidenden Impulse empfängt. Frühzeitig schon hatte sie sich in Feuilletons (Wiener Zeitung) und Erzählungen geübt. Nun wird in diesem kultivierten Heim ihrem ausgeprägt visuellen Sinn das Atmosphärische des Barock und Rokoko, vor allem aber ihrer etwas überhitzten religiösen Phantasie das Rita-Erlebnis (virago Dei) geschenkt. Während wiederholter Besuche in dem berühmten Gnadenort Maria Taferl (Niederösterreich) und, nach dem Tod der Mutter, während ihres Aufenthaltes in der alten Eisenstadt Steyr (1905–11) nimmt sie das Bewegende und Erregende der heimischen Geschichtslandschaft in sich auf. Das Rita-Erlebnis steht künftig im Mittelpunkt ihres von dem Thomas-von-Kempen-Wort „Magna res est Caritas“ inspirierten gesamten Romanschaffens, das sich deutlich in drei Perioden gliedert. Wenn man von dem Erstling „Meinrad Helmpergers denkwürdiges Jahr“ (1897-1900) absieht, der die Thematik zu grell übertönt und auch die Form zerstört, gehören die drei großen Romane der Folgezeit (1904–13) der immer wiederholton und immer neu variierten Grundtendenz zu, den Gegensatz von Protestantismus und Katholizismus im rein Menschlichen zu versöhnen, zuweilen und nicht immer glücklich in betonter Schwarzweiß-Zeichnung der Charaktere, wobei zumeist das mildere Licht auf die lutherischen Helden fällt. Die unerhört reiche Kenntnis geschichtlicher, folkloristischer und mundartlicher Details gibt ihren Werken äußerst lebhafte Wirkung, und die souveräne Beherrschung der Stoffmassen wie des verknappten Dialogs führt mitunter zu hochdramatischer Straffung des Geschehens („Die arme Margaret” 1909). Die zweite Schaffensperiode (1915–28) mit ihren mißglückten „Rita”-Romanen wird überragt von dem Romanfragment „Johann Christian Günther” (1928), dem auch wegen seiner Einleitung aufschlußreichen Mittelstück ihres Gesamtwerkes. – Die ausreifende Epoche der alternden Dichterin (1929–38) krönt die „Frau Maria“-Trilogie, die, fernab von der früher überakzentuierten „Blut- und Greuel-Mystik“ der Folterszenen, in epischer Ruhe und Breite das Geschehen auf und ab und zu Ende führt. Die Dichterin, in den „Modernismus“-Streit hineingezerrt (Decurtins, Richard von Kralik), aus dem sie sich mühsam herausgehalten hatte, unklug verwickelt in den Plagiatskandal um Schönherrs „Glaube und Heimat“ (1911), hat sich nach ihrer literarischen Verfemung unter dem Hitler-Regime der Öffentlichkeit immer mehr verschlossen und ist in Linz, wo sie seit 1911 wohnte, völlig vereinsamt gestorben. – Heute kaum mehr gelesen, weil ihre Problematik nach den in andere Tiefen vorstoßenden Werken der Bergengruen, Le Fort, Graham Greene, Schaper, Undset, Wilder nicht mehr aktuell erscheint, ist sie in die Dichtungsgeschichte eingegangen als jene bedeutende Dichterin, die sozu|sagen über Nacht die von Heinrich Federer und Carl Muth der „Inferiorität“ beschuldigte katholische Literatur wieder zu künstlerischen Höhen führte und in den Jahrzehnten 1900-30 eine bestimmende Kraft in der gesamtdeutschen Literatur blieb.
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